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Lucky Unruhestand?

Lucky Unruhestand?

Fast alles im Leben ist eine Frage der Perspektive. Es gibt Tage oder besser gesagt Stunden oder auch nur Minuten, da meine ich plötzlich zu wissen, was das alles soll, das Leben und das Dasein, das Älterwerden und das „Überhaupt“. Ich meine, ich weiß dann mit einem Mal, was der Sinn des Lebens, der Welt und des Ganzen ist. Bevor ich es aber richtig realisieren und in Worte fassen kann, was in meiner Birne vorgeht, ist sie entflogen, die Erkenntnis, wie der freiheitsliebende Spatz, der unter unserem Dachfirst haust und oft viel Lärm um Nichts macht. Ich hab’s einfach wieder vergessen. Warum? Tja, was weiß ich. „No sé“, wie der Spanier sagt. Entweder, das ist ganz normal und geht vielleicht vielen so oder es ist das Alter, mein Alter … Aber, egal! Ich lehne mich zurück und sage laut und deutlich: „Das kann mich mal, das Alter!“

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Vor zwei Jahren habe ich angefangen, mir Gedanken über meine Pensionierung zu machen und habe es unter dem Titel „Papa ante portas“ zu Papier gebracht. Und vor einem Jahr habe ich die zehnteilige Berichtsreihe „Die letzte Tür - Countdown bis zur Pension“ pünktlich zum 31. Juli 2019 beendet und war am 1. August Pensionär. Und jetzt? Bin ich im Entspannungsparadies, im süßen Nichtstunmodus, im terrestrischen Nirwana? Fühle ich mich nur als periodischer Freigänger des täglichen Zwangsrhythmuses, so wie früher manchmal? Blicken wir mal zurück. Es sind zwölf Monate vergangen. Einiges ist passiert und die Zeit fühlte sich nahezu durchgehend eher wie Urlaub an. Im September waren wir auch im Urlaub, in Südamerika und haben auf einer Rundreise absolut Aufregendes erlebt, nachzulesen in diversen Berichten auf diesem Blog, u.a. in „Peru auf eigene Faust“.

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Nach der Herbstarbeit im Garten folgte bald schon wieder eine Reise, nämlich im Januar in die Karibik, schriftlich festgehalten in dem Bericht „Karibik und Mittelamerika mit der AIDAluna“. Hier ein Bild aus Cartagena:

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Und das neue Jahr begann und war ein paar Wochen alt, da zogen schwarze Wolken am Horizont auf. Zuerst starb der betagte und schwer kranke Vater meines besten Freundes Mario und dann er selbst. Ich war an seinem Bett auf der Intensivstation am 3. März 2020, als um 20:10 Uhr die Beatmungsmaschine abgestellt wurde und seine Seele in die ewigen Jagdgründe entfloh. Er war ein Jahr jünger als ich. Die näheren Umstände waren höchst dramatisch. Ich will sie aber für mich behalten, sie gehören nicht hierher, lediglich ein Bild von der Beerdigung möchte ich zeigen:

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Und auch im Juli 2020 leben wir alle immer noch unter den Einschränkungen des Coronavirus. Ich kann damit ganz gut umgehen, aber ich bin auch privilegiert. Ich wohne im Grünen mit Haus und Garten, habe vom Berliner Senat regelmäßig ausreichend Geld auf dem Konto, bin gesund und habe eine intakte Familie. Das geht nicht allen so, an die denke ich oft. Spontan haben wir übrigens Mitte März angefangen, Urlaubsbilder trotz Corona mit kleinen Geschichten zu sammeln. Es ist ganz schön geworden und wird Tag für Tag und Woche für Woche besser: “Corona und Urlaub? Was sonst und jetzt erst recht!“

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„Das Leben ist vor dem 12. und nach dem 65. Lebensjahr am besten“, schreibt Dag Sebastian Ahlander in seinem Handbuch für glückliche Rentner. Dieses Buch hat mir eine liebe Freundin, Regina, ebenfalls aus Berlin, geschenkt. Ich habe es inzwischen bestimmt ein duzend Mal gelesen. Es ist so klug geschrieben, dass ich es kaum wiedergeben kann. Er gibt 109 Ratschläge und jeder ist es wert, beachtet zu werden.

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Dass die Zeit knapp und jeder Tag der erste vom Rest meines Lebens ist, ist mir klar. Aber jammern ist blöd und hilft auch nicht. Deshalb stelle ich mir jeden Tag als einen besonderen vor. Es gibt für mich keine blauen Montage und keinen düsteren Novemberblues. Jeder Tag ist eine Bereicherung, jeder Tag ist ein Gewinn, jeder Tag will erlebt werden, jeder Tag ist eine Herausforderung. Diese Einstellung hat übrigens dazu geführt, dass mir die letzten zwölf Monate irre lang vorkamen. Und sie hilft mir, ein glücklicher Pensionär zu sein. Ein Jegliches hat seine Zeit und jedes Lebensalter seine ureigene Laufbahn.

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Der Weg der Natur entlang des ewigen Zeitstrahls ist einfach nur geradeaus: „Tempus fugit“. Die Zeit schneidet brutal auch ins eigene Fleisch, kein Innehalten, kein Verweilen. Immer weiter voran, ohne Rücksicht auf Verluste, der Natur ist das Individuum nämlich völlig egal. Ich muss folglich selbst jedem Abschnitt des Lebens mit eigener Initiative eine eigene zeitliche Bestimmung abtrotzen: der Kindheit die Unsicherheit, der Jugend die Wildheit, dem Berufsleben den Ernst und nunmehr dem Alter die Reife. Deshalb ist es gerade jetzt besonders sinnvoll, dem Typen im Spiegel möglichst oft mit einem Lächeln zu begegnen. 

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Ein oft empfundenes, absolut überwältigendes Gefühl ist für mich die Freiheit, immer tun und lassen zu können, was ich will. Jede Minute des Tages und der Nacht und das an jedem Tag jeder Woche. Grenzen sind hier nur die Bedürfnisse anderer und gewisse Pflichten des Alltages. Kommt damit eventuell Langeweile auf? Werden die Tage zu zähen Brocken? Nö, eher nicht. Es gleitet vielmehr alles schwerelos dahin. „Wie wäre es mit einer Aufgabe oder einem Projekt?“, fragt man mich schon mal hier und da. „Eine feste Aufgabe würde Beständigkeit und Bedeutung in deinen Alltag bringen“, heißt es. Brauche ich das? Nein, das ist mir viel zu rational. Ich gebe dem Zufall, dem Schicksal eine Chance, viele Chancen, jeden Tag. Und Projekte zu hassen heißt nicht, mit Freund Thomas Sachen zu unternehmen und darüber zu schreiben. Das mache ich gerne. Aber insgesamt gesehen, kann mein Alltag völlig unbeständig und unbedeutend bleiben. Gut so. Es soll Menschen geben, die das brauchen. Ich nicht. Spanisch zu lernen und für unsere Website zu arbeiten, sind für mich Projekte genug. Es sollen mich alle mit festen Terminen in Ruhe lassen, die sind mir ein Gräuel, die Termine, nicht die Leute. Und wenn ich will, setze ich mich einfach auf die Terrasse und trinke ein Bier.

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Apropos Leute. Intensiven Kontakt zu Anderen will ich aber schon, das ist mir wichtig. An erster Stelle kommt da meine gesamte Familie, insbesondere meine Frau und unsere Tochter. Beide sind für mich primäre Ansprechpartner in vielen Dingen. Wenn es zum Beispiel darum geht, wie mein Verhalten auf andere wirkt, ob ich wieder einmal zu arrogant, zu laut rüberkomme oder ob ich sehr verschlossen wirke. Alles Dinge, die ich nicht will, mir aber immer wieder passieren. Und dann sagt mir meine Frau sehr deutlich, was falsch ist an meinem Verhalten.

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Und Kamerad Leichtfuß, Thommy, mein Freund und Kupferstecher, ist mir total wichtig, auch wenn er das vielleicht nicht immer so mitbekommt. Gerade weil er anders tickt als ich. Wir haben vieles gemeinsam, aber die Haltung zum Dasein ist verschieden. Und hier ist Austausch angesagt. Auch, um mich mitunter wieder runter zu holen von meinen philosophischen Irrwegen. Und Mario war mir wichtig. Da war neben der Musik der Sport, über den wir viel gesprochen und diskutiert haben, auch kontrovers. Vor allen Dingen haben wir geredet über den Fußball und die vermaledeite Hertha, die uns zum Wahnsinn getrieben hat. Aber, mein lieber Mario, das geht jetzt nicht mehr, nie mehr, nie wieder, nada, R.i.P.

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So wie ich jetzt hier diese Zeilen schreibe, muss ich unwillkürlich an eine Situation vor einigen Wochen denken, als ich auf der Terrasse sitzend mit einem Glas Gin Tanqueray Flor de Sevillla in der Hand sehr entspannt in die untergehende Sonne geschaut habe. Die Äste des Rosenstrauchs bewegten sich am Rand meines linken Gesichtsfeldes. Die Rotbuche ließ Licht und Schatten abwechselnd auf mein Gesicht fallen. Der Wind bewegte ihre Äste recht kräftig, es rauschte stark in der Krone. Seltsam, aber um mich herum war es fast windstill. Ich fühlte mich behütet und war im Hier und Jetzt, ganz bei mir.

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Auch heute fließt das Blut in meinen Adern langsam, ganz langsam, den Herzschlag fühle ich kaum. Glück ist auch die Abwesenheit von Unglück und ich habe verdammtes Glück gehabt bis jetzt. Eine tolle Ehefrau, eine nicht nur mich begeisternde Tochter, Superfreunde und eine Nachbarschaft, die ihresgleichen sucht. Mehr will ich nicht, aber – ganz unbescheiden – weniger auch nicht. Ich schaue also zuversichtlich nach vorn, sehr wohl wissend, dass mein Leben genau so ist, wie mein Denken es gestaltet. Und ich gestalte nicht nur meine kleine Welt und den Garten, auch mein Körper gehört dazu, zum Gestalten. Es lässt sich übrigens beides miteinander verbinden, ganz easy: nämlich einfach machen!

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Wir schreiben das Jahr 2020, es ist der 31. Juli. Meine Pensionierung ist heute genau ein Jahr her und ich befinde mich in einem glücklichen Ruhestand.

Ich habe hier meine Gedanken aufgeschrieben für den, der sie lesen mag. Die Welt, mit der alle Menschen stetig und ständig herausfordernden Schicksalslinie, liegt auch vor mir, ziemlich deutlich. Ich werde also mit einer gewissen Vorauswahl Gelegenheiten beim Schopf packen und von der Welt ganz unbescheiden verlangen, dass sie mir ihr Bestes zu bieten hat. Jawoll!

Słopišća

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Mit dem Fahrrad zum Spaghetti-Eis in Potsdam

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