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Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Ich befürchte zwar ernsthaft, dass ich das nicht schaffen werde, fast 800 Kilometer von Saint-Jean-Pied-de-Port bis Santiago de Compostela zu wandern. Aber... ich will es trotzdem versuchen. Und warum? Tja, eine wirklich gute Frage. Ich weiß es nicht genau. Mich selbst oder meinen Glauben oder irgendetwas anderes muss ich nicht finden. Ich denke, die Herausforderung und das Unbekannte reizen mich, das riecht nach Abenteuer. Keine Termine, keine Verabredungen, keine Pflichten, nur einen Fuß vor den anderen setzen.

„Blood, Sweat and Tears“ oder auch „Sangre, Sudor y Lágrimas“. Wollt ihr sehen, wie ich mich quäle, freue, stöhne und lache?

Den neuesten Artikel findet ihr hier:
Jakobsweg - Camino Francés - Erfahrungsbericht

Oder wenn ihr wollt, hier ist jede Etappe aufgelistet:
Santo Domingo de la Calzada
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Anreise zum Jakobsweg - Camino Francés

Biarritz Flughafen 13:25 Uhr, die Frisur sitzt und das Ambiente ist exotisch! So kann’s weitergehen!

Martin mit Palme im Hintergrund starten Jakobseg Camino Francés Erfahrungsbericht

Ich bin aufgekratzt und etwas müde. Der Abschied von meiner Frau war schmerzlich und die Nacht kurz. 3:30 Uhr Aufstehen, 5:00 Uhr Flughafen, 6:30 Uhr Abflug. Zwischenstopp in Paris und nun mit dem Zug in die Pyrenäen. Und wo ist jetzt der Bahnhof? Mal sehen, Google wird mich schon leiten. 38 Minuten zu Fuß (natürlich) und schon bin da.

Martin vor dem Bahnhof Biarritz Jakobseg Camino Francés Erfahrungsbericht

Nach dem Fußmarsch geht es mir gleich besser. Es ist einigermaßen warm, 17 Grad und die Sonne scheint. Hunger hätte ich jetzt mal. Es gibt ein kleines Café mit Schinken-Käse-Baguettes, Tartelettes mit Fleisch und Cookies. Als Vegetarier bleiben da nur die Kekse. Dazu einen Americano. Beides hervorragend. Nebenbei lade ich das Handy mit der Powerbank auf und schreibe für unseren Blog.

Pausensnack

Gleich kommt der Zug und ein Gewitter. Es ist auch hier typisch April. Eben noch Sonne und warm und dann kalt und nass. Das wird noch richtig spaßig.

Bahnsteig und Gleise

16:51 Uhr, der Zug ist pünktlich. Einmal umsteigen in Bayonne. Ankunft 18:18 Uhr Bahnhof Saint-Jean-Pied-de-Port. Bis ich das einigermaßen fehlerfrei aussprechen konnte, hat es etwas gedauert und es fällt mir immer noch schwer. Bis zur Unterkunft „La Coquille Napoleon“ sind es 1,9 Kilometer, rund 35 Minuten. Vorher will ich aber noch die bestellten Wanderstöcke im Sportshop abholen.

Auswahl an Wanderstöcken Jakobseg Camino Francés Erfahrungsbericht

Und den Pilgerpass abstempeln lassen. Liegt alles dicht beieinander in der Rue de Citadelle.

Rue de Citadelle Jakobseg Camino Francés Erfahrungsbericht

Es ist 19:00 Uhr, ich habe alles. Nun mal los, bis 20:00 Uhr muss ich spätestens eingecheckt haben, im 10-Bettenschlafsaal der Napoleon Muschel. Gemischt, die Frauen tun mir jetzt schon leid.

Martin vor Unterkunft La Kokille NapoleoJakobseg Camino Francés Erfahrungsberichtn

Mir geht es gut, mein Bett ist oben, der Raum ist klein, alle Betten belegt, sechs Frauen, vier Männer.

zwei Doppelstock-Betten in Unterkunft auf demJakobseg Camino Francés Erfahrungsbericht

Ich sortiere meine Sachen. Es ist chaotisch. Das Einpacken war irgendwie leichter. Aber wird schon. Ich freue und fürchte mich vor morgen.

Regenkampf nach Roncevalles - Erlebnisbericht Jakobsweg Camino Francés

Das in der Dunkelheit zuckende Licht einer Stirnlampe lässt mich endgültig nicht mehr schlafen, es ist noch nicht mal halb sechs. Ich schaue mich um. Zwei Betten sind schon komplett leer. Die frühen Pilgervögel sind schon unterwegs, nicht zu glauben. Ich stehe auf. Draußen wird das Frühstück vorbereitet. Cool.

Frühstückstisch zum Start auf den Jakobseg Camino Francés Erfahrungsbericht

Am Frühstückstisch wird Englisch gesprochen. Es sitzen da ein Pärchen aus den USA und eines aus England, dazu zwei Asiaten und ich. Vor dem ersten Croissant-Stich beten alle, jeder leise für sich. Ich senke meinen Kopf ebenfalls. Schließlich entwickelt sich eine lockere Runde. Alle reden und essen. Es gibt außer der französischen Backware noch Butter, Marmelade, Kaffee und Orangensaft. Das ist für sechs Euro völlig okay. Gegen acht Uhr mache ich mich auf den Weg. Die Sonne scheint, es regnet gar nicht wie angekündigt. Seltsam. Aber, besser so. Also: Auf geht’s, Pilger und Pilgerinnen!

In die Luft gehaltene Wanderstöcke auf dem Jakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

Wie erwartet, bin ich auf dem Camino nicht allein. Es ist mehr so eine Völkerwanderung. Es heißt bald links halten. Die Steigung ist moderat. Ich fühle mich wunderbar. Ich passiere Gite Antton und Huntto nach fünf Kilometern. Hier wollte ich das erste Mal rasten. Ich fühle mich zu gut. Aber ja, ich weiß, dass die Ausdauersportler selten an der Strecke scheitern, sondern am Tempo. Es gibt einen Aussichtspunkt, so viel Zeit muss sein.

Gegenlicht Berge und Haus auf dem Jakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

Es folgt der schwerste Aufstieg dieser Etappe. Nach Orisson sind es 300 Höhenmeter auf 2,5 Kilometer Strecke. Die Stöcke bewähren sich, so wie damals beim Salkantaytrek. Zwei Mal Stockeinsatz, einatmen, dann wieder zwei Mal die Stöcke in den Boden rammen, ausatmen. Und kurze Schritte. Ich komme gut voran.

Wanderer auf dem Jakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht von hinten mit Stöcken

Nach anderthalb Stunden bin ich beim Restaurant „Refuge Auberge Orisson“, Pause nach 7,5 Km. Gönne ich mir und kaufe etwas. Babylonische Sprachverwirrung: Ich möchte Café au Lei und baskischen Bienenstich, werde auf Englisch gefragt, ob ich auch Zucker zum Kaffee will und bedanke mich mit „No, gracias“!

Martin macht Kaffeepause vor Refuge Auberge Orisson  -Jakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

Nach 30 Minuten will ich weiter. Der Himmel bezieht sich. Ich sichere mich und den Rucksack gegen Regen. Es kommen Serpentinen, insgesamt sind es jetzt zehn Kilometer bis Croix Thibaut. Noch hält sich der Himmel. Der Wind bläst die Wolken weg.

Grüne Wiese mit Schafen und Bergen im Hintergrund auf dem Jakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

Der Wettergott pustet wie verrückt. Aber am Ende reicht es nicht mehr. Es beginnt zu plattern, vom Feinsten. Da der Wind nicht nachgelassen hat, kommt das Wasser nicht von oben, sondern schräg von vorn. Da hilft meine Ausrüstung nur bedingt. Die Hose gibt der Imprägnierung zum Trotz recht schnell auf. Und es ist kalt. Saukalt. Ab Hüfte abwärts stehe ich quasi im frostigen Wasser. Bald fühle ich meine Beine nicht mehr richtig. Ich versuche es mit Rückwärtsgehen. Dadurch löst sich der nasse Stoff von der Haut. Das hilft etwas. Außerdem schlage ich mit den flachen Händen auf die Oberschenkel. Die Waden sind fast normal, die Füße auch. Es wird immer schlimmer. Ich sende ein Stoßgebet zum Allmächtigen. Als ich mich wieder einmal aus dem Rückwärtsgang umdrehe, sehe ich ein kleines Fitzelchen blauen Himmel.

Martin im Regenponcho trotzt Wind und Regen auf demJakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

Der Regen hört auf. Ich erreiche ein Waldstück und bin auf jeden Fall besser geschützt als auf dem freien Feld. Das sieht urig aus. Wie ein Hexenwald.

Schlammiger Waldweg auf dem Jakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

Aber bald ändert sich die Struktur des Pfades. Der Weg wird zu einer einzigen Pampe. Nach einigen Dutzend Schritten ist es mir egal, wo ich hintrete. Es wäre nur schön, wenn der Schuh nicht steckenbleibt. Konditionell bin ich topp drauf. Die Probewanderungen waren nicht umsonst. Ich mache eine Pause und wringe meine Handschuhe aus.

Handschuhe und Stöcke liegen auf baumstamm amJakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

Kaum bin ich wieder auf freiem Feld, gießt es von neuem in Strömen. Ein Niederschlag im wahrsten Sinne des Wortes. Ich erreiche Alto de Lepoeder nach zwei Stunden und 20 Kilometern gesamt. Nach links führt ein Abzweig von der Straße runter. Gekennzeichnet als Camino mit der gelben Muschel. Wiese und Schlamm. Meine Vorsicht hilft nicht. Beim zweiten Wegrutschen liege ich auf dem Rücken. Eine Rolle seitwärts und ich stehe wieder, nichts passiert, außer Dreck. Der Weg geht in einen Wald über, wird aber nicht besser. Ganz langsam und mit Bedacht schleiche ich vorwärts. Wenigstens hat der Regen aufgehört. Schließlich ein Schild: 1,3 Km bis Roncevalles! Meine Unterkunft mit heißer Dusche wartet schon. Es ist fast 17:00 Uhr. Ich bin da, saudreckig und pitschnass, aber glücklich.

Eingang vom Hotel La Poada, Jakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

24,3 Kilometer liegen hinter mir. Ich habe zwar deutliche Schmerzen in den Beinen, bin aber nicht bewegungsunfähig. Ein Schlafsaal mit reduzierten Möglichkeiten in vielerlei Hinsicht wäre heute übrigens nicht für mich in Frage gekommen. Mein Gesamtzustand lässt das nicht zu. Wirklich nicht.

Kurztrip nach Aurizberri - Erlebnisbericht Jakobsweg Camino Francés

Ich lasse die Herde der Peregrinos ziehen. Erstaunlich viele Radfahrer sind dabei. Wir haben sechs Grad, sehr frisch. Aber die Sonne scheint.

Die Kilometerangabe täuscht, die gilt für Autofahrer. Ich habe „nur“ noch 703 Kilometer vor mir. Die Nacht war gut, Bett und Ausstattung hervorragend, Abendessen und Frühstück solide, „La Posada“ ist zu empfehlen. Heute wird die Strecke deutlich kürzer ausfallen, nur knapp sieben Kilometer. Ich möchte wissen, was mein Körper zu den Anstrengungen von gestern sagt.

Martin wandert mit Stöcken durch sonnigen WaldJakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

Der linke Hacken drückt etwas. Das war gestern schon so. Aber bei dem Horrorwetter hatte ich das glatt vergessen. Heute Morgen war deshalb eine Sonderbehandlung mit einer speziellen Blasenvorsorgecreme angesagt. Ich versuche, den linken Fuß sorgfältig aufzusetzen. Wird schon, nur nicht Bange machen lassen. Der Weg ist eben und trocken, trotzdem setze ich die Stöcke ein. Irgendwie bin ich schon entsprechend konditioniert. Es tut mir gut. Der Buchenwald um mich herum ist anheimelnd. Ab und zu gehen rechts Pfade ab. Die sehen vielleicht aus! Ich bin dankbar, dass diese Schneisen nicht mein Camino sind.

Schlammspur Jakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

30 Minuten später, es ist halb zehn, habe ich den Wald verlassen und laufe durch Felder, Wiesen und Auen. Ich freue mich einfach nur tierisch über das Wetter. Der Herrscher über Blitz und Donner hat aber auch einiges gut zu machen.

Selfie Martin auf dem Jakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

Es ist aber nicht so, dass mir Wasser und Schlamm erspart bleiben. Der Weg ist noch gekennzeichnet durch den gestrigen Regen. Ab und zu kreuzt sogar ein ausgewachsener Bach meinen Pfad. Gut, dass hier kleine Steinbrücken über das Wasser führen. Sonst wäre es schwierig.

Martin läuft über eine kleine Steinbrücke auf demJakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

Meine Stimmung wird immer besser. So sollte der Camino sein. Einige Pilgernachzügler überholen mich. Zusätzlich zum „Buen Camino“ streckt mir jemand die gefalteten Hände als Gruß entgegen. Na klar. Der Camino ist ein christliches Ereignis. Ich nicke leicht mit dem Kopf und murmele „Gracias“. An einem interessant aussehenden Brunnen könnte ich Wasser auffüllen, muss ich heute aber nicht. Der Weg ist ja kurz.

Brunnen Iturrizar Jakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

Der Name Iturrizar könnte auf die baskische Wohltäterin aus Bilbao hinweisen, die im 19. Jahrhundert lebte und im Baskenland sehr verehrt wird. Ich gehe weiter. Es ist halb zwölf und ich bin schon da, in Aurizberri. Das ging schnell. Meine Unterkunft heute ist das Rural Basque Irati in der Straße San Bartolome. Ich stehe vor der Hausnummer und wundere mich.

Verfallenes Haus in Aurizberri Jakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

Das ist die Hausnummer 62, ohne Zweifel. Ich schaue in der Reservierung nach. Aha! Wer Zahlen lesen kann, ist klar im Vorteil. Es ist die Nummer 82. Da die Zahlen in dieser Richtung kleiner werden, heißt es kehrt, marsch, ein Stück zurück. Und siehe da, ich habe es gefunden.

Hotel Basque Rati auf dem Jakobsweg Camino Francés Erfahrungsbericht

Obwohl ich viel zu früh da bin, bekomme ich den Schlüssel. Auch diese freundliche Dame spricht mich auf Englisch an. Das will ich aber nicht. Außerdem kann ich inzwischen besser Spanisch als Englisch. Sofort wechselt sie und freut sich offensichtlich, dass ein Tourist bereit ist, die heimische Sprache zu sprechen.

16 Kilometer nach Zubiri - Erlebnisbericht Jakobsweg Camino Francés

Käseomelette, eine in Öl geröstete Weißbrotscheibe, zwei Scheiben Käse, Croissant, frischgepresster Orangensaft mit Kiwi- und Bananenstücken sowie Café con leche, da kann ich nicht meckern, ganz im Gegenteil. Das Frühstück gibt mir Schwung. Das ist auch notwendig. Sechs Grad, neblig und es tröpfelt so vor sich hin. Ich verabschiede mich von der überaus freundlichen Rezeptionistin. Pilar hat 25 Jahre lang im Posada, meiner gestrigen Unterkunft, gearbeitet. Aber hier ist sie glücklicher, sagt sie.

Es ist neun Uhr, ich will losgehen. Nach dem Anziehen der Handschuhe merke ich: die Stöcker fehlen. Noch einmal zurück ins Zimmer. Dann aber. Nach der Richtung brauche ich mich nicht umzuschauen. Ich muss mich nur einreihen in die Schlange der Pilger. Es geht zunächst bergauf, obwohl es nach Zubiri grundsätzlich nach unten geht. Je nach Leistungsfähigkeit zieht sich das Volk auseinander. Ich kann locker an einigen vorbeimarschieren.

Wanderer mit Stöcken Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Meinen linken Hacken habe ich heute gleich mit einem Blasenpflaster präpariert, damit da gar nichts anbrennt. Ich merke auch nichts. Kurz vor Biskaretta-Gerendiain muss ich einen Bach überqueren. Die Brücke besteht aus Betonpfosten, die das Queren erleichtern sollen. Na, schauen wir mal.

Wanderer auf Betonpfosten zur Bachüberquerung Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Im angekündigten Örtchen gibt es einen Shop, speziell für Pilger. Ich habe alles und brauche nichts. Es interessieren mich aber einige ältere Gebäude, die ich mir mal genauer ansehe. Teilweise sehr zerfallen. Obwohl … einmal richtig durchfegen und die sind wie neu.

Verfallenes Haus mit Wanderer davorJakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Auf dem Weg nach Lintzoain komme ich an einem Gedenkstein für verstorbene Pilger vorbei. Von weitem sieht das wie ein Haufen für Riesenameisen aus. Ich bleibe stehen und gehe für einen Augenblick in mich. Dann lege ich auch einen Stein dazu.

Pilgersteinhaufen Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Ich bin im Flow. Gibt es eigentlich auch einen Wanderer-High wie so ein Runners-High? Keine Ahnung. Ich merke von den widrigen Wetterbedingungen jedenfalls nichts mehr. Sie sind mir egal. Was hier übrigens für Typen rumlaufen, ist schon spannend. Eine Frau überholt mich zügig und trägt nur ein kurzärmliges T-Shirt und Shorts. Und ich? Shirt, Fleece-Pullover, Regenjacke! Der Mann mit dem Regenschirm ist aber auch Klasse.

3 Pilger-Wanderer, einer mit Schirm Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Der Wald ist voller abartig schöner Kunstwerke. Was die Natur so formt, ist überwältigend. Ich bin tief berührt und kann mich gar nicht satt sehen. Immer wieder bleibe ich stehen. Dieser mit Moos überzogene Baum sieht doch wie ein offenstehender, schreiender Mund aus, oder?

knorriger Baum auf Pilgerweg Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Am Rastplatz bei Erro steht ein Foodtruck. Ich trinke einen Café con leche und esse ein Sandwich mit Käse. Der Truck an sich ist nicht so spannend, aber ein Korb, der davor steht. Er nennt sich „Korb der Wunder“ und man soll seine Unterwäsche da lassen, damit die Magie funktioniert. Ich sehe vor allen Dingen Büstenhalter. Welche Magie?

"Korb der Wunder" alte Kleidung in Korb Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Ich lasse nichts da, natürlich nicht. Das Wenige, was ich an Kleidung dabeihabe, brauche ich auch. Die letzten vier Kilometer sind angesagt, zwölf der heutigen 16 habe ich somit geschafft. Und es ist noch nicht mal Highnoon. Irre!

Martin auf Camino mit Stöcken Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Körperlich bin ich gut drauf, geistig auch. Der Weg aber nicht. Er ist felsig, uneben, steil und einfach schlecht. Gut, dass es nicht mehr regnet. Ich will nicht wissen, wie man hier runterkommen will, wenn es glatt ist. Das sagen sich die Radfahrer bestimmt auch. Obwohl die schon so genug Schwierigkeiten haben; da braucht es gar nicht zu regnen.

Schiebende Radfahrer auf Camino Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Es sind noch einmal Konzentration und Trittsicherheit gefragt. Keinen Sturz bitte in Sichtweite des Ziels. Ich schaffe es unverletzt bis zur mittelalterlichen Brücke von Zubiri.

Mittelalterliche Steinbrücke von Zubiri Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Und wie ich hier noch ein Bett bekommen habe, das erzähle ich euch morgen.

Sonnenweg nach Pamplona - Erlebnisbericht Jakobsweg Camino Francés

Gestern Abend war es noch richtig lustig. In der Albergue Suseia saßen beim Essen ein Pärchen aus Down Under, ein Mexikaner, sieben US-Amerikaner und ich zusammen. Tischsprache war natürlich Englisch. Ich habe höchstens die Hälfte verstanden. Aber das tat der Stimmung keinen Abbruch. Sara kredenzte uns ein fünf Gänge-Menü vom Allerbesten. Dazu Rotwein aus der Region und herrlich frisches Baguette.

Soweit, so gut. Aber eine Unterkunft hier in Zubiri zu finden, war überhaupt nicht selbstverständlich. Booking.com hatte gleich signalisiert: „Vergiss es, nichts mehr frei!“ Bei Google Maps sind ja grundsätzlich alle Unterkünfte verzeichnet. Und so habe ich sie alle kontaktiert. Auf die ersten drei Mails gab’s schnelle Antwort: negativ. Die Telefonate waren ähnlich erfolglos: Entweder ging keiner ran oder der Anrufbeantworter textete mich zu, ohne Rückruf natürlich. Auf die nächsten drei Mails wurde gar nicht reagiert. Und dann passierte es. Die gar nicht verflixte siebente Mail wurde von Sara beantwortet, die schrieb, dass etwas frei wäre und ich sollte mich auf der Website anmelden. Im Handumdrehen erledigt, ich war glücklich. Sara schrieb, sie hätte meine Reservierung (!) vervollständigt und alles wäre schön. Denkste! In den späten Abendstunden schrieb Sara erneut: „Du hast aber Glück, es hat gerade jemand abgesagt, du hast das Zimmer!“ Hä?? Merke: Reservierung ist nicht gleich Buchung, nicht wahr!

Suseia Pilgerunterkunft Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Heute erwartet mich ein sonniger Tag. Es sind zwar frische sechs Grad, es sollen aber 19 werden. Neun Uhr, ich gehe los und bin wie immer ziemlich dick angezogen. Über die Arga-Brücke von Zubiri, der Wunderkräfte gegen die Tollwut zugeschrieben werden, gehe ich zum Camino zurück, den ich gestern hier verlassen habe. Der Stadtname ist übrigens baskisch und bedeutet „Ort an der Brücke“.

Martin mit Wanderstöcken schräg von untern aufgenommenJakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Hinter der Brücke rechts hoch und am Feld entlang. Eigentlich sollte es hier deutlich trockener sein, so wie oben auf der Straße. Und warum jetzt doch nicht? Das Universum gibt mir keine Antwort und schickt mir stattdessen diese wacklig aussehende Überquerung.

schlammiger Weg auf dem Camino Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Gemeistert, weiter geht´s. Rechts von mir türmen sich Abraumhalden eines Magnesit-Werkes in die Höhe. Hässlich steht das Teil unübersehbar in der Gegend herumt. Nicht schön. Etwas später sehe ich links einen Bauernhof mit zwei hübschen Pferden davor. Na, die wollen doch bestimmt ein Selfie mit mir machen. Der Schimmel spielt mit, der Braune verpfeift sich.

Pilger mit Schimmel im Hintergrund Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Meine Beine sind okay, auch jetzt, wo es wieder bergauf geht. Es ist absurd. Wir sind auf rund 500 Meter und Pamplona liegt auf 460 Meter. Da muss es doch nicht ständig hoch und runter gehen. Und runter heißt manchmal: Abenteuer! So zum Beispiel diese reizende Holzbohlentreppe. Ich fasse es nicht.

Holzbohlenstufen auf Jakobsweg Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Ohne Blessuren erreiche ich den Grund. Der Weg ist jetzt fest und steinig und mündet in einen schmalen Wald, der auf beiden Seiten von saftigen Wiesen begleitet wird. Es ist kitschig, ich weiß.

Blick unter Bäumen auf sonniges Feld Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Es ist ruhig. Ich bin allein. Alle Pilger scheinen schon weg zu sein. Ich höre einen Hahn krähen und Vogelgezwitscher. Dazu das Tik-Tok meiner Wanderstöcke. Na, wo bleibt der Flow? Zu früh, sagt mein Kopf. In Gedanken versunken übersehe ich fast den giftgrünen Salamander. Er freut sich wie ich über die Sonne.

Grüner Salamander im Gebüsch Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Es ist Mittag und Zeit für eine Pause. Vom Frühstück habe ich mir etwas mitgenommen, das ich vertilge. Ich ziehe meine dicken Sachen aus. Wir haben nunmehr 14 Grad im Schatten, das sind in der Sonne bestimmt um die 20.

Martin bei Esspause mit abgestelltem Rucksack neben sich Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Zehn Kilometer habe ich von den rund 24 bis zu meinem Hotel in Pamplona geschafft. Hinter mir liegen unter anderem die Dörfer Larrasoaña und Zurain. Vor mir gibt es keine Ortschaften mehr, nur Straße und Natur. Für meinen Geschmack zu viel Verkehr, eindeutig. An einer Stelle unterquere ich die Landstraße. Der Tunnel sieht cool aus. Und eine Frau vor mir ist das I-Tüpfelchen im Gegenlicht des Ausgangs. Danke!

Es geht auf Kilometer 17 zu und ich merke meine linke Wade. Die hatte schon heute Morgen aufgemuckt. Sie bekam Dehnung und Massage. Ich trete behutsamer auf. Aber was solls! Auf den Körper hören, ist richtig. Aber den Malessen zu viel Raum geben, ist falsch. Einfach weitergehen. Schritt für Schritt. Der Pfad führt jetzt zwischen den Wiesen auf und ab und lässt fantastische Blicke ins Tal und auch noch weiter zu.

Steinpfad zwischen Wiesen Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

So langsam reicht´s, ich bin ziemlich fertig. Es sind 20 Grad. Vor allen Dingen deswegen. Ich bin kurz vor Pamplona, im Ort Arre. Kilometer 19. Vor mir liegt wieder eine mittelalterliche Brücke. Ich gehe rüber. Dahinter gibt es ein Wehr, das man von der Brücke gut sehen kann und ordentlich etwas hermacht.

Wehr vor Pamplona Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Von nun gehen alle Vororte von Pamplona ineinander über. Nur noch Stadtstraßen. Das macht die Sache nicht leichter. Ich kann nicht mehr und mache Pause. Zehn Minuten, 20 Minuten. Ich muss aufstehen! Und ich muss weitergehen. Gefühlte Stunden später sehe ich in Rufweite das Franzosentor. Das ist nicht mehr viel. Weiter! Meine Stöcker sehen mit Sicherheit albern aus, aber sie helfen. Ich bin durch das Tor und drehe mich um. Wow, was für ein Anblick!

Franzosentor Pamplona Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

In Pamplona muss ich noch abwechselnd dreimal rechts und dreimal links gehen, dann bin ich an meinem Hotel und checke ein.
Ich verabschiede mich nun für zwei bis drei Tage. Ich muss mich erholen. Unbedingt. Hasta pronto!

Erholt nach Obanos - Erlebnisbericht Jakobsweg Camino Francés

Die drei Tage in Pamplona waren sehr erholsam. Ich habe mich auch ein wenig umgeschaut in der überschaubar kleinen Altstadt und versucht, beim Fotografieren den etwas anderen Blick anzuwenden. Übrigens sind mir das Jagen der Stiere und das Töten zuwider!

Bei meiner Tour gab es bisher mehr Regen als Sonne. Auch heute. Aber Regen macht manchmal Dinge besonders sehenswert, die bei schönem Wetter belanglos wären.

regennasse Gasse in Pamplona Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Auch dieses Gebäude, bewacht von einem Polizisten, der für´s Foto extra beiseite geht, macht im Regen eine gute Figur. Es ist übrigens das Rathaus, wie mir der Ordnungshüter verrät.

Rathaus von Pamplona Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Absurde Situation. Vor der Catedral de Santa María la Real spielt ein Typ auf einem Dudelsack schottische Volkslieder und ein deutscher Pilger (ich) steht im ach so sonnigen Spanien schon wieder im Regen. Ich gebe ihm ein Trinkgeld, er will aber trotzdem nicht auf´s Foto. Sein gutes Recht. Also fotografiere ich die Kirche. Am besten gefallen mir die mächtigen Säulen am Haupteingang.

Mächtige Säulen am Kirchenportal PamplonaJakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Und falls jemand noch wissen will, wie man „Buen Camino“ in anderen Sprachen dieser Welt sagt, hier bitte nachlesen:

Tafel mit "Buen Camino" in verschiedenen SprachenJakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Es ist wie immer neun Uhr. Nur noch 665 Kilometer, geht ja. Das Wetter ist gut, sieben Grad und Sonnenschein. Ich verlasse auf Schusters Rappen Pamplona und passiere Cizur Menor. Heute sollen es gut 22 Kilometer werden mit der Herausforderung des Anstieges auf den Alto del Perdón (765 m). Das Wandern scheint mal wieder so eine Massenveranstaltung zu werden; eigentlich könnten wir uns alle an den Händen fassen. Macht aber keiner. Vor dem Dorf Zariquiegui gibt es Wasser, eine Toilette, Steinbänke und eine reizvolle Aussicht.

Pilger lehnt am Baum vor grüner LandschaftJakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Das Foto hat Juan aus Kolumbien gemacht, der inzwischen in Madrid lebt und mit seiner Frau den Camino Francés macht. Sie sind genauso begeistert wie ich. Ich ziehe weiter. Am Wegesrand faszinieren mich ein ums andere Mal die von Pilgerhand geformten Steinkunstwerke. Wenn ich hier auch nur den kleinsten Kiesel noch draufmachenden würde, wäre alles perdu. Ich kann mich beherrschen. Aber gerade so.

Kieselturm - Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Die Route verläuft nun merklich bergauf. Elf Kilometer sind geschafft. Es geht gut voran. Auch heute. Der Aufstieg ist weniger schlimm als gedacht. Vor mir liegt nun schon die Passhöhe des Alto de Perdón. Es ist der Berg der Läuterung. Ich fühle mich umfassend geläutert, da wird sich bei mir nichts verändern. Aber ein Foto mit dem Pilgermonument ist Pflicht.

Pilgermonument Mann steht zwischen Metallfiiguren von Pilgern auf Reittieren Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Dieses Kunstwerk soll Pilger aus verschiedenen Jahrhunderten darstellen. Gut gelungen, finde ich. Eigentlich will ich hier Pause machen, aber der Wind bläst dermaßen unangenehm über die Bergkuppe, dass mir ein Picknick unter diesen Umständen kein Spaß macht. Ich werfe noch einen Blick auf das Mahnmal zu Ehren der Toten, die nach einem gescheiterten Coup auf das Franco-Regime hingerichtet wurden. Es sieht ein wenig wie Stonehenge in klein aus.

Stein-Mahnmal Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Von nun an geht´s bergab und zwar recht heftig. Bis jetzt war der heutige Camino mehr so pillepalle, aber rund 1,3 Kilometer nur Geröll und grobe Steinstufen, das ist eine echte Herausforderung. Was hat sich die Natur nur dabei gedacht? Etwas komfortabler könnte es doch sein, bitteschön.

Kieselweg auf Camino Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Von weitem sehe ich einen großen Steinbruch, dort liegt Tiebas auf dem aragonischen Pilgerweg, der sich mit dem navarrischen, auf dem ich gerade wandere, in Orbanos vereint. Kurz vor Uterga mache ich Pause. Eine kleine Bank bietet mir ein gutes Plätzchen. 17 Kilometer liegen hinter mir, es ist zwei Uhr, immer noch nicht besonders warm, aber sonnig. Mir geht´s supergut.

Pilger macht Pause auf einer Bank Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Ich unterquere eine Landstraße und laufe parallel, aber glücklicherweise doch ein ganzes Stück vom Verkehr entfernt, durch wellenförmige Landschaften. Und plötzlich stellt sich mir ein Grashüpfer hübscher Größe in den Weg und bittet um ein Foto. Kann er haben.

Hinter Muruzábal sind es nur noch zwei Kilometer bis zum Ziel. Ganz leichten Schritts gehe ich auf Obanos zu. Die Glocke schlägt vier Uhr, ich bin da, im Casa Raichu. Ich checke ein. Duschen und relaxen ist jetzt angesagt.

Überraschung in Estella - Erlebnisbericht Jakobsweg Camino Francés

Kai aus Magdeburg ist ein angenehmer Gesprächspartner beim Frühstück. Er ist Wanderer aus Passion, dem auch 35 Kilometer am Stück nichts ausmachen. Wir plauschen intensiv und lassen uns das Frühstück schmecken. Gegen halb neun verabschieden wir uns mit einem „Buen Camino“.

Selfie von Mann vor Kirche Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Die Kirchenglocke schlägt zweimal, es ist halb zehn, ich bin unterwegs, 25 Kilometer liegen vor mir. Das Wetter hat neun Grad, regnerisch, ich habe wieder alles an. Los geht´s. Der erste Ort ist die Puente de la Reina. Was für ein Name, die Brücke der Königin!

Puente de la Reina - Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Über die Brücke gelange ich entlang des Rio Arga auf einen Schotterweg, der mich nach Mañeru führen soll. Besonders viele andere Pilger sind nicht mit mir unterwegs; die sind wohl schon alle weg. Stört mich aber überhaupt nicht, im Gegenteil.

Selfie von Pilger auf dem Camino francés

Es ist einigermaßen rutschig. Ich trete vorsichtig auf, einen erneuten Sturz wie auf dem Weg nach Roncevalles möchte ich vermeiden. Schließlich bin ich unten. Der Pfad wird zur Sandstraße. Links von mir beginnen nun Felder mit Raps und davor Weinstöcke.

Weinstöcke, dahinter Rapsfelder auf dem Camino francés

Das ist wieder so hübsch anzusehen, dass es ausgesprochen kitschig wirkt. Der Regen hat aufgehört. Kräftig schreite ich aus. Die nächste Stadt liegt vor mir. In Cirauqui laufe ich durch die steilen Gassen und erfreue mich an den alten Häusern.

Pilger läuft durch Tor von Cirauqui Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Kaum habe ich die verwinkelte Altstadt verlassen, treffe ich auf eine mehr als 2.000 Jahre alte Römerstraße, die auf eine kaum zehn Jahre alte Landstraße trifft. Welcher Zustand ist besser? Na?

Wanderer auf alter Römerstraße von hinten, er trägt einen Rucksack mit orangefarbenen RegenschutzJakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Begleitet von hügeligen Wein- und Olivenplantagen gehe ich den Berg hinab; diesmal trocken ohne Rutschgefahr. Kaum zwei Kilometer weiter winkt der ideale Rastplatz für mich: das Paradies.

Es ist ein Ort von Pilgern für Pilger. Es gibt Obst, Brot, Olivenöl, Wasser und Sitzplätze. Bezahlt wird nur als Spende. Der Stand sieht aber zugegebenermaßen ziemlich wacklig aus.

Gemüsestand für Pilger Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Kaum habe ich abgeschnallt, kommt Victoria aus dem Hain runter und fragt mich nach meinem Begehr. Auch sie ist wieder begeistert, dass ich lieber Spanisch als Englisch reden will. Sie erklärt mir das ganze System der Kooperative und ist total übersprudelnd. Ich verstehe nicht unbedingt alles; sie spricht etwas zu schnell.

Es ist schon kurz vor zwei und ich habe noch 13 Kilometer vor mir. Doch es hetzt mich ja niemand. Das ist das Schöne, wenn man nicht spätestens um vier in den Herbergen sein muss, um noch ein Bett zu bekommen. Denn ich habe vorgebucht! Vor Lorca wandere ich auf einem mit grünen Zweigen übertunnelten Weg und freue mich einfach nur, hier sein zu dürfen.

von Zweigen übertunnelter Kiesweg Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Schließlich bin ich da. Am Ortseingang von Estella gibt es die Iglesia del Santo Sepulcro. Ich wähle sie aus, um die Bewältigung der 25 Kilometer innerlich, mit Stolz geschwelter Brust, zu zeigen.

Pilger auf Steintreppe Camino francés Erlebnisbericht

Ich suche den Weg zu meiner über booking com gebuchten Unterkunft. Das sind noch einmal anderthalb Kilometer mehr. Ich gehe auf dem Zahnfleisch. Und dann passiert das Unfassbare. Erstens öffnet keiner auf mein Klingeln an der Tür. Und zweitens sagt der Typ in der Bar, die zur Pension gehört, dass er keine Buchung vorliegen hat. Ich bin platt, im doppelten Sinne. Nicht nur platt, ich bin entsetzt. Es ist halb sechs, da gibt es woanders nichts mehr! Der Typ stellt mir zur Beruhigung ein Bier vor die Nase. Immerhin, nette Geste.

Zur Entschuldigung des Typen muss ich sagen, dass er genauso sauer ist wie ich. Er wettert auf booking com, was das Zeug hält. Er telefoniert wie ein Weltmeister. Immer wieder und wieder. Und er findet eine Lösung. Zwei Straßen weiter komme ich circa eine Stunde später in einer anderen Pension unter. Noch mal Glück gehabt.

Außenansicht Hostal Cristina in Estella - Jakobsweg – Camino Francés – Erfahrungsbericht

Es wird warm nach Los Arcos - Erlebnisbericht Jakobsweg Camino Francés

Der Weg biegt nach links in den Wald ab. Geradeaus wäre einfacher, kürzer und langweiliger, heißt es. Und der Waldpfad ist der klassische Camino. Na denn, ab nach links.

Ich bin seit ungefähr einer Stunde auf dem Trail. Elf Grad, bewölkt, kein Regen. Von den gut 24 Kilometern des Tages habe ich schon fünf geschafft. Das getauschte Hotelzimmer war recht gut, nur sehr hell, da mein Fenster genau in Höhe der Straßenlaterne war. Aber mit der Schlafmaske ging es.
Im Wald gibt es immer noch riesige Pfützen; Schlamm und Moder lassen mich irgendwie nicht los.

Obwohl ich im Wald bin, wird es wärmer. Und ich durstiger. Da hilft es doch ungemein, wenn rechts in deinem Gesichtsfeld ein Schlauch bammelt, der ständig ruft: „Trink mich, trink mich!“

Es ist Wasser aus der Leitung mit einem Tütchen Elektrolyte-Pulver. Schmeckt. Ich wandere so vor mich hin und meditiere. Der Camino verläuft hier rund zwei Kilometer durch den Wald und öffnet sich dann plötzlich zu einer Lichtung mit Talblick. Der Blick ist wolkenverhangen und nicht sehr spektakulär. Aber der Aussichtspunkt an sich ist Klasse.

Normalerweise würde das ja unter illegale Müllentsorgung fallen, aber in diesem Fall finde ich die Idee einfach brillant. Der Wald hinter mir verschwindet gänzlich und macht bunten Wiesen Platz. Das duftet sehr intensiv und sieht auch sehr fein aus. Lauter Blüten in weiß, gelb, violett und rot säumen den Wegesrand.

Ich erreiche Luquin. Eine Pause wäre jetzt nicht das Schlechteste. Ich habe Durst und Hunger. Es ist kurz vor zwölf. In einer Straße mit meinen Namen stehen Stühle vor einer geschlossenen Herberge. Die Glocken der Basilca de la Virgen rufen die Gläubigen zum Gebet und scheinen mich aufzufordern, mich niederzulassen.

Ich lasse mir viel Zeit. Wie schon einmal erwähnt, scheitert der Ausdauersportler nicht an der Strecke, sondern am Tempo. Nach 30 Minuten schnalle ich alles wieder an. Neben dem Fleece-Pullover, der schon lange im Rucksack ist, kommt jetzt auch die Jacke dazu. Es ist zu warm. Schneckengleich mache ich mich wieder auf den Weg.

Und es wird noch wärmer, 21 Grad. Damit hat das Wetter den Wohlfühlbereich für Wanderer eindeutig verlassen. Mir fällt auf, dass die Markierungen, also die gelben Muscheln, seltener werden. Und der Weg wächst immer mehr zu. Ist das noch der Camino?

Ich zweifle und zwar stark. Doch, siehe da, nach rund 500 Metern endet dieser Pfad auf einem breiten Schotterweg. Ich schaue auf der Karte nach und lese, dass dies so eine Art Nebencamino war. Es gibt hier offensichtlich mehrere Wege, die aber alle richtig sind. Interessant. Auf der linken Seite begleitet mich nun ein Feld mit Weinstöcken. Die exakte Anordnung hat einen geradezu hypnotischen Effekt.

Fast drei Uhr, bis Los Arcos sind es noch fünf Kilometer. Die Sonne schafft mich. Eine weitere Unterbrechung wäre vortrefflich. Vor mir laufen zwei Frauen, die offensichtlich die gleiche Idee haben. Ein Rastplatz mit mehreren Steinbänken bietet sich an. Es ist nur noch eine frei. Die eine Dame stellt ihren Rucksack an die rechte Seite der Bank und setzt sich links daneben, also quasi fast in die Mitte. Das andere Fräulein macht das Gleiche links. Haben die ´ne Macke? Und wo soll ich sitzen? Na wartet! Ich umrunde die Bank, sie hat keine Lehne, und stelle meinen Rucksack von hinten links neben mir und die Stöcke rechts neben mir und lass mich auf das kleine, noch freie Stückchen Bank fallen. Beide schenken mir jetzt ihre volle Aufmerksamkeit. Ich lächle, texte sie auf Spanisch zu und hole meinen letzten Schokoriegel aus dem Vorratsbeutel.

Letztlich geht alles friedlich aus. Wir smalltalken auf Englisch. Die rechte ist aus Dänemark, die Linke aus Holland. Zum Abschied bekomme ich sogar noch ein Stück Schokolade. „Adiós, Chicas“, töne ich und marschiere weiter.

Mein Körper spielt gut mit. Die Anstrengungen von gestern sind nicht besonders zu merken. Ich erreiche das Ortsschild von Los Arcos. Gleich links gibt es einen kleinen Bauernhof mit Hühnern, Gänsen, Hunden, Katzen und Ziegen.

Nun muss ich noch zu meinem Hotel, das außerhalb der Stadt liegt. Es sind nochmals fast zwei Kilometer extra. Na, man gönnt sich ja sonst nichts. Ich gehe durch die ganze City und passiere wieder ein Ortsschild, diesmal das Ende. Gegen vier Uhr bin ich aber dann doch da, checke ein und bin auf dem Zimmer. Geschafft!War ja auch nicht bei booking com gebucht.

Auf und Ab nach Viana - Erlebnisbericht Jakobsweg Camino Francés

Sieben Kilometer liegen hinter mir, es ist halb zehn, Zeit für eine Pause. In Sansol gibt es einen kleinen Laden, dem ich eine Tasse Kaffee und ein Croissant abkaufe. Im Gegensatz zu gestern Abend, als mir die Bedienung auf meine spanischen Bestellungen immer englische Antworten gab, ist hier die Konversation in der Landessprache einwandfrei, auch wenn ich mal mit den Händen nachhelfen muss.

30 Minuten später schnalle ich wieder an und gehe los. Eine Mietze, die mich an unsere Katze Ilea zu Hause erinnert, schickt mir noch ein „Adiós“ hinterher. Wie süß!

Kurioserweise liegt der nächste Ort nur 800 Meter entfernt, aber bergab. Von hier oben kann man gut einen Turm von Torres del Río erkennen.

Wer runter geht, muss auch wieder hoch. Die Gassen sind steil. In der Mitte der Stadt steht eine kleine Kirche. Ich schaue hinein. An einem Tischchen sitzt Carmen und sieht mich erwartungsvoll an. Der Eintritt kostet einen Euro. Na gut, denke ich mir. Dafür ist es aber sehr dunkel hier drin. Doch das ändert sich, als Carmen das Geld in der Kasse versenkt hat, sie schaltet Licht an. Ich bitte sie um ein Foto von mir. Und gerade als die Kamera klick machen will, überkommt mich das Gefühl, das Knie beugen zu wollen. Es passt irgendwie.

Diese Kirche, Iglesia de Santa Sepulcro, heißt so, weil sie Anfang des 13. Jahrhunderts den Rittern des Heiligen Grabes gehört haben soll, daher der Name. Man lernt ja nie aus, schon gar nicht, wenn man eine Reise tut. Ich verabschiede mich von Carmen und verlasse die Stadt.

Rund eine Stunde später und fünf Kilometer weiter, passiere ich wieder einmal eine Gedenkstätte für verstorbene Pilger. Das sind erstaunlich viele. In diesem Fall gilt das Gedenken Joseph Lastort, 18. Januar 2022, und seiner Frau Rita, 30. Juni 2022. Das ist noch nicht lange her.

Es berührt mich. Ich habe vor, gesund und unbeschadet wieder zu Hause anzukommen. Also, immer schön aufmerksam sein, nicht wahr? An einem Rastplatz hinter einer Weinplantage ruhe ich mich aus und esse den Apfel, den ich in dem kleinen Shop in Sansol gekauft habe.

Beim Start heute Morgen war es elf Grad warm, jetzt ist es kälter, nur noch neun Grad. Außerdem weht ein gewisses Lüftchen. Mir ist kalt, ich ziehe den Fleecepullover wieder an. Ab geht´s, Endspurt. Bis zum Tagesziel Viana sind es noch 3,8 Kilometer, sagt ein Schild. Und es geht nochmals ziemlich steil bergauf. Ich wende wieder die bewährte rhythmische Stocktechnik mit synchronisierter Atemfrequenz an: Einatmen, Tik-Tok, Ausatmen, Tik-Tok. Funktioniert. Ich bin schneller oben als gedacht. Und hier steht als Belohnung eine Rarität aus alter Zeit, die Reste einer Schutzhütte für Pilger.

Der Rest ist öde, es geht an der Landstraße entlang. Und der Fußgängerbereich ist nicht besonders breit, nicht ungefährlich. Eine dreiviertel Stunde später bin ich in Viana und freue mich richtig albern.

Mein Hotel ist das Palacio de Pujadas, etwas Gehobenes. Ich denke, das habe ich mir verdient. Die Buchung war erfolgreich (!), ich habe sie direkt beim Hotel vorgenommen. Mein Zimmer ist super, das ganze Ambiente in diesem alten Haus ist grandios. Ich freue mich auf heute Abend, wenn ich hier ein Menü bestellen werde.

Langeweile nach Navarrete - Erlebnisbericht Jakobsweg Camino Francés

Gestern Abend bei herrlichstem Sonnenschein war ich noch bei den Ruinen der Iglesia de San Pedro. Von dort oben hatte ich einen fantastischen Blick ins Tal und auf die Berge.

Und der Park ist auch geradezu fürstlich angelegt und mit den Ruinen kombiniert. Dieser kleine Ort scheint ein Geheimtipp zu sein.

Mit dem nächsten Etappenziel weiche ich von der traditionellen Einteilung ab. Aus zwei Strecken, die zusammen mehr als 60 Kilometer ausmachen, habe ich drei kürzere gemacht! Gestern waren es 20 und heute sollen es 22 werden. Ich schlendere durch die Gassen, denke nochmal an das ausgezeichnete Hotel. Diese alten Häuser sind beeindruckend und wenn man darin auch noch übernachten kann, perfekt! Überhaupt hat mir Viana sehr gut gefallen. Ich nähere mich der Stadtgrenze. In einem Fenster werde ich nett mit einem Pilgerzeichen verabschiedet.

Es sind neun Grad und der Himmel ist bedeckt. Nach einer Stunde muss ich feststellen, dass der Weg nach Logroño langweilig ist. Das Interessanteste ist ein von Pilgern kunstvoll geformter Pfeil aus Steinen. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass Rosa auch schon da war.

Aber ich muss doch nur Schritt für Schritt machen, wie immer, mehr ist nicht notwendig. Aber es nervt. Nichts passiert. Meine Stimmung sinkt. Besonders die letzten drei Kilometer bis zum Río Ebro sind erbärmlich öde. Endlich bin ich in Logroño. Bevor ich Pause mache, gehe ich in die Concatedral de Santa María de la Redonda, deren Ursprünge auf den hier langgehenden Jakobsweg zurückzuführen sind. Vielleicht hebt das meine Laune.

Eine fast 20 Meter hohes Mittelschiff, das ist gigantisch. Viele Pilger gehen durch die Reihen. Ich setzte mich für einen Augenblick. Schließlich verlasse ich das imposante Bauwerk und suche mir einen Platz im Café Picasso am Plaza San Bartolomé und mache Pause. Es ist elf Uhr, zehn Kilometer liegen hinter mir, noch zwölf vor mir. Ich versuche mich in Autosuggestion. Es hilft ein wenig. Nach einer halben Stunde raffe ich mich auf und gehe weiter. Den Camino im Gewirr dieser ziemlich großen Stadt zu finden, ist gar nicht so einfach. Aber sehr ansprechend gestaltet sind die Zeichen.

An der Stadtgrenze führt der Camino durch einen prächtig angelegten Park. Und ich höre jede Menge Vögel zwitschern. Na geht doch, liebes Universum.

Nach dem Park folgt so eine Art Jogging- und Skaterstrecke, die mit rötlichem Sand bedeckt ist. Rechts daneben gibt es eine Betonweg. Beide sind nicht besonders gut zum Wandern geeignet. Aber bald folgt wieder mehr grün. Es ist der Parque de la Grajera y la Barranca. Außer Grill- und Rastplätzen gibt es auch einen See und Enten.

Ich gehe über eine Brücke und sehe einen Typen, der die Fische füttert, denke ich.

Aber nein. Der Typ filmt die Fische, die denken, er wird sie gleich füttern. Wir kommen ins Gespräch. Joachim kommt aus der Gegend von Frankfurt am Main und ist mit seiner Ausrüstung autark. Er hat Zelt, Isomatte, Schlafsack dabei und erzählt, dass er schon einmal richtig eingeregnet ist. Sonst schläft er aber auch in aus Stein gebauten Unterkünften. Außerdem haben wir etwas gemeinsam: er dokumentiert seinen Camino auf einem YouTube-Kanal, allerdings erst nach der Reise: https://www.youtube.com/watch?v=WI2d7M19H7k Wir verabschieden uns. Eine Stunde später mache ich meine letzte Pause vor Navarrete.

Gut 20 Kilometer sind geschafft, das Ziel ist nicht mehr weit. Mental geht es mir wieder besser und körperlich sind kaum unerwünschte Dinge zu spüren. Es ist immer noch nicht besonders warm, zwölf Grad sind es. Bei meinen Recherchen zum Camino habe ich übrigens nirgendwo gelesen, dass im April und Mai das Wetter hier in Navarra derartig unbeständig und schlecht ist.

Camino-Umweg nach Hormilla - Erlebnisbericht Jakobsweg Camino Francés

Im Frühstücksraum ist nicht viel los. Außer mir sitzen da noch ein älteres Pärchen und zwei junge Frauen, wobei eine von den beiden nur ein kurzärmliges T-Shirt und Shorts trägt. Es ist kalt. Nicht nur draußen, es sind acht Grad, auch hier drinnen herrschen keine tropischen Temperaturen. Na vielleicht kommt sie aus Grönland oder so, da laufen sie ja ab null Grad immer so rum, habe ich gehört. Ich beende mein Frühstück, gehe auf´s Zimmer, mache mich fertig und bin gegen neun wieder auf dem Camino.

Ich folge den Wegmarkierungen, die mich entlang der Altstadt zur Landstraße hinausführen. Nach ungefähr 500 Metern komme ich an der Kirche Ermita de Santa María de Jesús vorbei, deren kleiner Glockenturm malerisch zwischen den beschnittenen Bäumen hervorschaut.

Kurz vor Ventosa treffe ich Joachim von gestern wieder. Ich freue mich, er sich offensichtlich auch.

Wir beginnen sofort loszuquatschen. Er erzählt mir die abenteuerlichsten Sachen. So hatte er sich in den Pyrenäen im Nebel verlaufen und war erst nachts um zwei Uhr in Roncevalles angekommen. Durch glückliche Umstände bekam er dann doch ein Zimmer. Wir reden und reden und schwups liegen zwölf Kilometer hinter uns. Zeit für eine Mittagspause.

Nach einer halben Stunde schnallen wir wieder an und gehen los. Als ich wie gewohnt kräftig die Wanderstöcke in den Boden knalle, liegt plötzlich der untere Teil des rechten Stockes am Boden. Der nun nutzlose Griff baumelt an meiner Hand. „Ist wohl durchgebrochen“, kommentiert Joachim trocken. Da hat er verdammt noch mal Recht. Wir verabschieden uns, da die Reparatur dauern wird. Ich fummle und schiebe das abgebrochene Rohr oben einfach tiefer in die Aufnahme und siehe da, es hält. Trotzdem starte ich etwas vorsichtiger. Aber nichts knirscht, nichts bricht. Also weiter im Takt und egal was passiert, einfach nicht mit dem Laufen aufhören.

Fünf Kilometer vor Nájera muss ich den Camino verlassen, da ich in diesem Ort kein freies Bett mehr bekommen habe. Das liegt auch an der Tatsache, dass er End- und Anfangspunkt der traditionellen Etappen ist. Bis zum Ausweichdorf Hormilla sind es jetzt noch 5,7 Kilometer. Ich laufe auf der Landstraße. Die Autos brausen ziemlich schnell an mir vorbei. Auf einer Brücke vibriert der Boden dermaßen stark, wenn die LKW´s drüberwegdonnern, dass ich mich ernsthaft frage, was ich hier eigentlich mache.

Ich hätte nämlich auch durch Nájera gehen können und erst danach in Richtung Hormilla. Aber das wäre ein deutlich längerer Umweg gewesen. An einer Werkstattausfahrt reduziere ich mein Outfit weiter. Es ist warm geworden, 19 Grad und die Sonne scheint. Ein Mann fragt mich, ob ich Wasser oder etwas zu essen brauche. Ich muss wohl so aussehen. Das Wasser nehme ich dankend an. Ich frage ihn noch, ob es erlaubt ist, hier auf der Straße zu laufen. Er meint, klar, kein Problem. Na dann. Ich schnalle wieder an, noch drei Kilometer.

Es ist ein Vorgeschmack auf noch kommende Touren unter wärmeren Bedingungen. Da bin ich mir sicher. Es zieht sich. Endlich biege ich in Hormilla ein und schaue auf Google Maps nach, wo meine Unterkunft liegt. Ist ja klar, die steilste Gasse dieses Ortes ist mein Weg zum Ziel. Schließlich bin ich da.

Auf Klingeln und Klopfen öffnet niemand. Nicht schon wieder, denke ich. Ich rufe die angegebene Telefonnummer an. Nach wenigen Sekunden geht jemand ran. Ich solle fünf Minuten warten, dann sei er da. Schön, dann warten wir mal. Er kommt tatsächlich ziemlich schnell und gibt mir den Haustürschlüssel. Dieses Teil stammt mit Sicherheit von einem Burgverlies und nicht von einem Hostel.

Aber das Zimmer ist einwandfrei, das Bad sauber und ordentlich und der Vermieter nett. Mehr will ich auch nicht.

Im Sonnenschein nach Santo Domingo de la Calzada - Erlebnisbericht Jakobsweg Camino Francés

Vor dem Abmarsch kommt die Pflege. Mit Fußwohl werden alle Teile des Fußes geschmeidig gehalten. Vaseline bekommen beide großen Zehen richtig fett aufgetragen, damit die erst gar nicht auf dumme Gedanken kommen. Bepanthol ist für eventuell doch schon stark gereizte Stellen. Mit Cifandol massiere ich die Waden, das ist ein leichtes Schmerzgel, vorsorglich. Und der linke Hacken darf sich über ein Blasenpflaster freuen, auch prophylaktisch. Der Sonnenschutz ist dann noch für´s Gesicht. Fertig.

Ich trete vor die Tür, acht Grad, Sonnenschein, kein Wind, ich habe wieder alles an, mir ist kalt. Aber es sieht hervorragend aus, hier draußen, mit der Sonne zwischen den Wänden der Gasse.

Da ich etwas vom Camino wegen mangelnder Zimmerangebote abgekommen bin, führt mich der Weg zunächst zurück auf den rechten Pfad über das Örtchen Azofra. Hier gibt es leckeren Café con Leche und einen Sello, einen Stempel, in meinen Credencial, meinen Pilgerpass. Der Wirt sagt, ich soll selbst stempeln. Sí, claro.

Ich lasse es wieder langsam angehen. Außerdem ist mir inzwischen zu warm. Ich ziehe alles bis auf das Shirt aus. Das Thermometer ist zwar nur auf zehn Grad angestiegen, aber die Sonne knallt bei blauem Himmel volle Kanne auf den Schädel. Und da ich schon mal an dieser Santiago-Säule bin, mache ich gleich mal Pause.

Bei schönem Wetter ist die Natur einfach um das Vielfache so schön. Die grünen Blätter an dem Weinstöcken sehen doch herzallerliebst aus, oder? Und das alles vor den blauen Bergen der Sierra Rioja Alta. Zum Niederknien.

Auf den nächsten vier Kilometern lege ich ungefähr 150 Höhenmeter zurück. Das ist nicht so viel, aber es geht ständig bergauf. Ich muss mich ziemlich anstrengen. Die Weinplantagen werden nun überwiegend von Getreidefeldern abgelöst. Auch nicht schlecht.

Der Stern brennt mir noch ein Loch in die Mütze. Meine Herren! Dabei ist das noch gar nicht besonders warm. Keine 14 Grad. Ich schwitze wie Sau.

Ich nähere mich der Mittagspause, es ist knapp vor zwölf. Ein Rastplatz unter Bäumen mit Bänken und Wasserstelle fordert mich mit Vehemenz auf anzuhalten. Gerne doch. Als ich fast fertig bin, frage ich die Dame links neben mir, ob sie mich fotografieren kann. Georgina aus Italien kommt meiner Bitte offensichtlich gerne nach.

Ich bedanke mich artig und lobe die gelungene Ausführung. „Na bei so einem schönen Mann, das ist einfach“, säuselt sie auf Spanisch. Äh, also, ich bin verwirrt, flirtet die mit mir? Sie ist bestimmt deutlich über siebzig. Ich gebe das Kompliment aber gerne zurück. Georgina packt ihren Rucksack und verschwindet. „Buen Camino“, höre ich sie flüstern. Sachen gibt es! Es sind noch zwölf Kilometer; ich mache mich auch auf die Socken.

Gut zwei Kilometer vor Santo Domingo de la Calzada ist die Stadt bereits gut zu erkennen. Der Weg verläuft jetzt durch das vorgelagerte Industriegebiet; es ist wenig ansehnlich. Aber es hilft nichts, da muss ich dran vorbei. Endlich bin ich da, es ist kurz nach drei. Der imposante Turm der Kathedrale zieht sofort meinen Blick auf sich.

Bevor ich mein Apartment aufsuche, gehe ich in die Kirche, um sie mir genauer anzusehen. Für Pilger kostet es nur fünf Euro Eintritt und ich kann meinen Rucksack und die Stöcke in einen Schrank packen. Drinnen fühle ich mich unmittelbar erschlagen von der unglaublichen Architektur des Gotteshauses.

Seht euch doch mal diese Decke an. Es ist nicht zu fassen, wie man so etwas bauen kann. Und das vor so langer Zeit. Unglaublich.

Ich könnte hier noch stundenlang weiter schwärmen und Fotos ohne Ende präsentieren. Die Kirche und die angrenzenden Räume sind voller Altäre, Figuren, Schmuck, Bilder, Gottesdienstutensilien. Aber ich belasse es bei einem letzten Detail eines steinernen Sarkophags.

Nach gut einer Stunde bin ich wieder draußen und laufe zu meinem Apartment. Es ist quasi eine Ferienwohnung mit Komplettausstattung. Brauche ich zwar nicht, es gab aber nichts Anderes mehr.

Meine Packliste auf dem Jakobsweg - Camino Francés

Zwei Dinge können einem den Camino so richtig vermiesen: falsche Schuhe und ein zu schwerer Rucksack.

Die Wahl der Schuhe fällt mir recht leicht. Ich nehme meine Laufschuhe, die quasi Trailrunner sind, und fühle mich damit auf der sichereren Seite, denn für den Jakobsweg braucht es keine schweren Bergschuhe.

Die Füllmasse des Tornisters will dagegen genaustens überlegt sein. Gesunder, intuitiver Menschenverstand wird oft überschätzt; meistens ist er nur eine jahrelang erworbene Ansammlung von (Vor-)Urteilen. Allein darauf zu vertrauen, wäre fahrlässig. Also besser recherchieren. Die wichtigste Aussage, die ich gefunden habe, ist: „Packe deinen Rucksack gemäß deinen Vorstellungen und reduziere dann auf die Hälfte!“ Hier ist das Ergebnis:

  • Es genügen zwei Garnituren Beinkleider, eine zum Wandern, die andere für den Abend, eine mit abnehmbaren Beinen als Shorts, dazu drei T-Shirts (keine Baumwolle!) und falls es doch mal etwas kühler ist, ein leichter Pullover, außerdem drei Paar Wandersocken und dreimal Unterwäsche.

  • Eine leichte Kombijacke als Wetterschutz, ein Schlauchschal als Kälte- und Sonnenschutz und ggf. zum Abdecken eines Kopfkissens sind anzuraten, dazu eine Mütze gegen die Sonne mit Nackenschutz, Sonnenbrille und Handschuhe.

  • Zum Schlafen empfehle ich einen dünnen Seidenschlafsack, falls das Bettzeug mal nicht so überzeugend ausfällt, und ggf. eine leichte Stoffhose (wer’s braucht), dazu Ohrstöpsel und Schlafmaske und ein Paar Flipflops für die Dusche und generell nach dem Wandern.

  • Als Kosmetikartikel nehme ich mit: ein kleines Mikrofaserhandtuch, Seife für Körper (und Haare) und zum Kleiderwaschen, Zahnpasta (Probiertubengröße) und Zahnbürste, feuchte Tücher (Waschersatz unterwegs, Toilettenpapier), Taschentücher, Deo, Rasierer, Gesichtscreme, kleiner Kulturbeutel, Wäscheklammern und kurze Leine, wasserdichte Beutel für Wäsche, Smartphone, Dokumente, Zipbeutel (z.B. für die Sicherheitskontrolle).

  • In die Reiseapotheke (kleine Tasche) kommen Pflaster verschiedener Größen einschließlich Blasenpflaster und Leukoplast (zum Abtapen von Blasen und auch als Klebeband verwendbar), eine flexible Bandage, kleine Desinfektionstücher, Schmerzmittel, Aspirin Komplex, Nasenspray, Salben gegen Herpes, bei Prellungen, Zerrungen, schmerzenden Knien und offenen Wunden, Balsam zum Einreiben der Füße, Sonnenschutzcreme (auch für die Lippen).

  • Zu den Dokumenten gehören der Pass (plus Kopie, falls kein Personalausweis mitgeführt wird), Pilgerausweis, Nachweis einer Reisekrankenversicherung, Geldkarten (auch etwas Bargeld), Geldbörse, Wanderführer, Notizbuch, Stift.

  • Als Technik sollten Smartphone (kein Fotoapparat!), Selfistick, Powerbank mit Solarpanel, Ladegerät, Kabel, Mehrfachstecker, E-Reader, Kopfhörer und Stirnlampe mit in den Rucksack.

  • Die Versorgung unterwegs wird durch eine Literflasche mit Wasser, einen Trinkbeutel, Elektrolytpulver, Magnesiumdirektgranulat sowie Powersnacks gewährleistet.

  • Für das Mitführen der wichtigsten Sachen (Pass, Geldbörse, Smartphone) nach dem Wandern auf dem Weg ins Restaurant oder in die Stadt nehme ich eine mittelgroße Bauchtasche mit. Der Rucksack hat 40 Liter und wiegt 7,8 Kilogramm (zuzüglich Wasser).

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