Hallo

DSCF2003.JPG

Herzlich willkommen auf unserer Magazin-Seite.

Wir wollen unterhalten und informieren.

Viel Spaß

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern

„Noch östlicher geht nicht“, sagt Lothar Bartusch, unser Guide. Stimmt: Görlitz liegt direkt an der Neiße, gleich hinter den Brücken ist man schon in Polen. Und das Beste ist, dass die Stadt im Zweiten Weltkrieg kaum zerstört wurde. Ein komplettes Architektur-Potpourri aus Gotik, Renaissance, Barock und Jugendstil erwartet uns. Ich stehe also am Obermarkt, mitten in der Altstadt, habe die Ohren gespitzt und bin mir sicher, das wird kein trockener Geschichtsunterricht. In den nächsten 90 Minuten verspricht uns der Stadtführer einen wilden Ritt durch die „Perle der Oberlausitz“, die seit langer Zeit auch Hollywood für sich entdeckt hat. Drehlocation für „The Grand Budapest Hotel“, Tarantinos „Inglourious Basterds“ oder Kate Winslet als Straßenbahnfahrerin Hanna Schmitz im „Der Vorleser“ (obwohl die Story eigentlich in Heidelberg spielt). Nun dann, Kamera gezückt, Augen weit geöffnet – mal sehen, ob ich etwas dokumentieren kann, was nicht in jedem Reiseführer steht.

Reichenbacher Turm & Kaisertrutz

Wir starten am Reichenbacher Turm – 51 Meter hoch, einst Teil der Stadtbefestigung. Am Treppenaufgang steht ein Typ mit endloser Mähne.

Görlitz - Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Mann mit sehr langen Haaren

Er stellt sich vor: „Ich bin der schillernde Jimi – wie Hendrix. Meine Haare sind seit 1996 im fast ungebremsten Wachstum. Letztlich musste ich sie mal kürzen, bin dauernd draufgetreten.“ Ein Existenzialist? Vielleicht. Auf jeden Fall herrlich schräg, herrlich Görlitz. Gleich dahinter liegt der Kaisertrutz, früher eine von 32 Basteien. Davor ein Kunstwerk namens „Die Herde“ von Piotr Wesolowski. Inspirierend, aber auch ein wenig seltsam.

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Kunstwerk die Herde

Dicker Turm & Muschelminna

Über den Demianiplatz, vorbei am Gerhart-Hauptmann-Theater, gelangen wir zum „Dicken Turm“ am Marienplatz. Mauern: fünf Meter dick. Von den Kolonnaden des geschlossenen Kaufhauses „Zum Strauss“ habe ich einen genialen Blick.

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Dicker Turm aus den Kolonnaden des Kaufhauses fotografiert

Das Kaufhaus selbst wurde vom jüdischen Kaufmann Louis Friedländer nach Berliner Vorbild gebaut; meine Heimatstadt lässt grüßen. Ein echtes Einzelstück seiner Epoche. Gleich daneben steht die Frauenkirche; für eine Besichtigung ist jetzt aber keine Zeit. Rechte Hand öffnet sich der Postplatz. In der Mitte steht der Brunnen mit der berühmten „Muschelminna“ – offiziell Flora, Göttin der Natur. Der Volksmund ist da oft treffender und die Spitznamen einfach Kult.

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Muschelminna, weibliche Figur auf einem Brunnen mit Wasser

Fun Fact: Bei der Einweihung war die Frau des Architekten so empört über die nackte Figur, die ihrer Haushälterin ähnelte, dass sie angeblich sofort die Scheidung einreichte. Manche Leute übertreiben’s halt. Die Frage ist nur, wer von beiden? Drama, Baby!

Goldene Türen & Gründerzeitträume & Lost Places

Wir gehen weiter durch die Jakobstraße. Ein Sportgeschäft heißt wirklich „Görlitzer Muskelkater“. Wie cool ist das denn bitte? Geraderüber entdecke ich eine Eingangstür, die golden glitzert wie ein Schatzkästchen. Sie ist wunderbar verziert mit Schnickschnack aller Art, herrlich anzuschauen und geradezu prächtig. Durch die Türöffnung scheint warmes Licht vom Hinterhof. Einladend und ein wenig geheimnisvoll.

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, goldenes Eingangstor

Das Portal ist absolut top, die Fassade eher flop – der Putz hätte auch etwas mehr Liebe verdient. Egal, beeindruckend bleibt’s. Über den Wilhelmsplatz landen wir in der Augustastraße, einer der prachtvollsten Gründerzeitstraßen. Mietshäuser mit Balkonen, Vorgärten und 200-Quadratmeter-Wohnungen. Ein wenig Villenfeeling.

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Mietshaus in der Augustastraße

Aber nicht alles glänzt. Eine Ecke weiter stehen ein paar Altbauten, die vor sich hin bröckeln. Verfall pur, mit Fledermaus-Romantik inklusive.

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, zerfallenes Haus

Hallenhäuser & Untermarkt

Wir bummeln über Schützen-, Bismarck- und Klosterstraße zurück zum Obermarkt. Hier erzählt uns Lothar von den legendären Hallenhäusern: halbe Paläste, halbe Wohnhäuser, und UNESCO geschützt.

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Eingang zu einem Hallenhaus

Sie geben einen guten Eindruck davon, wie im Spätmittelalter das Leben der Gutbetuchten aussah. An einem anderen Portal grinst mich frech der steinerne Hausherr ins Gesicht und will wohl sagen: „Du hier? Wohl kaum! Mach mal ’nen langen Schuh!“

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Kaufmannsgesicht aus Stein

Es geht weiter zum Untermarkt, Teil der alten Handelsstraße „Via Regia“. Sie verbindet Moskau mit Santiago de Compostela. Das erinnert mich daran, dass ich während meines Caminos auch schon auf ihr gewandert bin. Auf dem Platz gibt es das bereits 1369 urkundlich erwähnte Rathaus mit Uhrenturm und Zugang zur Königsstube. Auf der meisterlich gestalteten Treppe präsentieren sich fast täglich Frischvermählte den Fans und Fotografen. Heute ist Ruhetag.

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Rathaustreppe

Auf der Kanzel wurden auch Gerichtsurteile verkündet. Unter der Treppe gibt es daher einen kleinen offenen Raum mit Bank, in dem die Delinquenten ihr Urteil erwarten mussten. Er heißt deshalb auch sehr treffend „Büßerecke“. Ich setze mich probehalber auf den Stein. Unbequem, düster – kein Ort zum Chillen.

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Mann auf einer Bank in der Büßerecke

Hollywood & Drehorgel

Im Haus „Der braune Hirsch“ hieß es öfter mal: „Film ab!“ – von „Der Zauberlehrling“ über „Der junge Karl Marx“ bis „Die Vermessung der Welt“. In den Arcaden stehend, habe ich einen prachtvollen Blick auf das Rathaus und „Die Waage“. Hier wurden Waren gewogen und es wurde jede Menge Geld von den Händlern kassiert, die die „Via Regia“ von der Neiße hochkamen.

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Blick von den Arcaden Richtung Rathaus und Waage

Auf einmal tönt es über den Platz: „Ich hab so Heimweh nach’m Kurfürstendamm!“ Ein Leierkastenmann mit Berliner Schnauze (eigentlich städtischer Bibliothekar) sorgt für Gänsehaut-Feeling. Die Drehorgel hat einen guten Sound und Pierre Pilz eine angenehme Stimme.

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Drehorgelspieler

Brückenschlag nach Polen

Lothar Bartusch verabschiedet sich. Ich bin begeistert von seinem Auftritt, die anderen Gäste auch. Einiges an Trinkgeld findet den Weg klimpernd in seine Jackentasche. Ein paar Schritte und ich bin über die Neiße nach Zgorzelec spaziert – Partnerstadt in Polen. Seit 1298 gibt’s hier eine Brücke, immer wieder zerstört, immer wieder aufgebaut. Zuletzt sprengten deutsche Soldaten sie am 7. Mai 1945. Ich drehe mich und der Blick wandert zurück zur mächtigen Kirche St. Peter und Paul mit dem weißen Turmpaar.

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Kirche St. Peter und Paul mit weißem Turmpaar

Noch ein Abstecher runter zum Wasser. Ich verweile etwas, denke über die deutsch-polnische Geschichte nach und genieße den grünen Blick die Neiße hinunter: In der Ferne die Einfamilienhäuser und noch ein Stück weiter die Plattenbauten des Viertels, das tatsächlich „Manhattan“ heißt.

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Blick die Neiße hinunter

Ich schlendere ein wenig durch die polnischen Straßen. Jede Menge Restaurants, Kneipen, Imbissbuden, gut besucht. Die Häuser sind zum Teil restauriert. Es gibt aber mehr Verfall als in der westlichen Partnerstadt. Schließlich quere ich wieder die Altstadtbrücke und bin zurück in Old Germany. Alles ohne Grenzkontrollen.

Fazit

Die östlichste Stadt Deutschlands ist unbedingt eine Reise wert. Ob Ober- oder Untermarkt, Türme oder Tore, Geschichte oder Hollywood-Glamour. Eine Stadt mit Charme, Charakter und ganz viel Überraschung. Wer hinfährt, sollte unbedingt eine Stadtführung mitmachen – die Guides haben jede Menge Anekdoten im Gepäck. Die Görlitzer Internetseite mit den Stadtführungen bietet verschiedenste Varianten und ist als Orientierung sehr zu empfehlen. Ich verabschiede mich mit einem klaren Bekenntnis zur Perle der Oberlausitz:

Görlitz – Ein Reiseführer mit Augenzwinkern, Mann mit Schild I love Görlitz
Morgenpostmenü, so funktioniert’s!

Morgenpostmenü, so funktioniert’s!